Gastbeitrag von Bernd Mehrwald
Von außen betrachtet, kommt man nicht unbedingt auf die Idee, eine Kirche zu betreten. Das an die sogenannte „Revolutionsarchitektur“ angelehnte Bauwerk wurde auf den Grundmauern eines barocken Stadtpalais errichtet. In den Jahren 1824 – 1826 erfolgte die Entkernung und der Umbau zu einer Saalkirche, die als solche von außen nicht erkennbar sein sollte. Die vorgeblendete, klassizistische Fassade mit dem mächtigen Eingangsportal im Mittelrisalit wirkt proportional und geometrisch klar gegliedert, auf mich aber auch ein wenig kühl.
Betritt man nun den äußeren Umgang, von dem aus an den Seiten die Treppen zu der Empore führen und geht in den Innenraum, stellt sich ein anderes Gefühl ein. Durch die vier großen Rundbogenfenster und die Lünetten (halbkreisförmig gerahmten Felder in der Wand) fällt das Licht in den Kirchraum. Es fließt über das Gestühl, das in drei großen Blöcken zu einem Halbrund konzentrisch auf die Kanzel und das Podest mit dem Abendmahlstisch ausgerichtet ist.
Die Empore, in deren Mitte die Walcker-Orgel aus dem Jahr 1909 thront, nimmt die halbrunde Form auf, das Gestühl erinnert hier an eine Tribüne. Getragen wird die Empore von dorischen Säulen, die Brüstung erinnert an das Gebälk griechischer Tempel. Insgesamt wirkt die Inneneinrichtung damit wie ein antikes Theater, aber auch der Eindruck eines Plenarsaals drängt sich auf.
Nicht zufällig diente die Kirche im Revolutionsjahr 1848 als Sitzungssaal der Bürgerschaft.
Was mich aber am meisten beeindruckt, ist die Weite und die Höhe des Raumes, letztere beträgt stolze 12 m. Diese wird ermöglicht durch das barocke Mansardendach, das, freitragend, die volle Grundfläche des Kirchgebäudes von 30 x 17 m überspannt. Infolgedessen „stören“ keine weiteren Säulen oder Stützen die Leere des Raumes. Die abgehängte weiße Decke, die zudem abgerundet in die Wände bis zum Sims übergeht, unterstreicht zudem die Einfachheit und Klarheit des Raumes. Denn auch sonst finden sich kein Schmuck und kein Bild im Kirchraum, nicht einmal ein Kreuz.
Die gesamte Architektur unterstreicht damit das theologische Profil der Evangelisch-Reformierten Kirchengemeinde in Lübeck:
Es geht um das Hören auf das Wort Gottes. Das Wort klingt und schwebt in dem Raum. Meine Augen werden nicht abgelenkt, sind entspannt. Die Gedanken bekommen Raum, sind frei. Kein Bild- oder Altarprogramm gibt mir vor, was ich zu denken oder zu glauben habe. Es gehört gleichsam zur reformierten Theologie, das Bilderverbot des Alten Testaments ernst zu nehmen und Gott nicht durch bildliche Vorstellungen einzuengen oder zu definieren.
In der letzten Reihe im mittleren Block, quasi als Hinterbänkler, lasse ich alles auf mich wirken und fühle mich einfach wohl. Nicht zuletzt ist es auch das vertraute Geräusch des Klickens, wenn die Tür zum Gestühl ins Schloss fällt, das mir sagt, hier bin ich zu Hause.
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